Death in Summer


von Julia Ritterskamp


 
An einem Holztisch vor unbestimmtem Hintergrund sitzt eine Frau. Die langen dunklen Haare und das schwarze Jackett gemäß der aktuellen Mode. Hinter der Totenmaske blicken uns überraschend lebendige, blaue Augen an. Die Hände sind durch Handschuhe mit aufgedruckten Skelettfingern verborgen. Auf dem Kopf ruht ein Kranz aus unterschiedlichen Blumen und in ihrer rechten Hand hält die Frau zwei weiße Chrysanthemen. Soweit die reine Beschreibung der mit Death in Summer betitelten Foto-Arbeit der Konzept-Künstlerin Ingnahl Magadan.

Sofort denkt man an die Figur der Catrina oder Calavera Catrina, die Personifikation des Todes, welche als bekanntestes Symbol für den Tag der Toten in Mexiko steht. Die Catrina taucht um 1910 das erste Mal in Werken des mexikanischen Kupferstechers Posadaauf. Typisch ist der elegante Hut, meist mit Blumen und Federn geschmückt. Der Name „Catrina“ steht für eine elegant gekleidete Person, beinhaltet aber auch eine leicht abfällige Komponente: Kritisierte Posada doch mit Vorliebe die mexikanische Oberschicht.

1947 taucht die Figur der Catrina im Zentrum von Diego Riveras Wandmalerei Sonntagsträumerei in der Alameda auf. Mit übertrieben großem, federgeschmücktem Hut und Boa schaut die den Betrachter frontal aus leeren Augen und mit breitem, lippenstiftumrandeten Grinsen an. Neben ihr steht ruhig und in sich gekehrt die Künstlerin Frieda Kahlo, damals die Ehefrau Riveras. In ihrer Hand hält sie das Zeichen von Yin und Yang. Größer könnten die Unterschiede zwischen Frauentypen und -leben wohl kaum sein, als konzentriert in diesem Ausschnitt des Murals des sozialkritischen Künstlers dargestellt.

In der Arbeit Magadans findet - im Vergleich zu Riveras Komposition mit den zwei Frauen - eine Symbiose zwischen der wissenden, schöpferischen und denkenden Kahlo auf der einen Seite sowie der geschmückten Catrina auf der anderen Seite statt. Die Dualität zwischen gesellschaftlicher Klasse, Intellekt, Lebenseinstellung, aber auch zwischen Tod und Leben selbst wird somit aufgehoben.
 
Frauen hüten von je her die Mysterien von Leben und Tod, Sexualität und Geburt (Elisabeth Bronfen, Die schöne Leiche). Diese Mysterien sind durchdrungen von scheinbaren Gegensätzen, welche letztendlich jedoch in Einheit münden. Um dies verständlich zu machen: Wie der Blumenkranz immer auch die Dornenkrone in sich trägt, so ist die Geburt die Voraussetzung für den Tod und die Liebe beinhaltet automatisch Verlust. Das eine ist ohne das andere nicht möglich.
 
Interessant sind die von Ingnahl Magadan für ihre Komposition ausgewählten Blumenarten. So ist die Pfingstrose, besonders die rote Pfingstrose – ebenso wie ihre Namensschwester, die klassische Rose - das Symbol für die romantische Liebe. Aber auch in der Ikonografie des Christentums taucht die Pfingstrose auf: Als Marienblume (Rose ohne Dornen) gilt sie als Zeichen für Heil, Geborgenheit und spendet spirituelle Liebe.

Die weiße Chrysantheme hingegen ist sowohl in Asien als auch in Westeuropa eine Blume, welche gemeinhin mit der Ehrung der Verstorbenen und ihrem Andenken verknüpft wird. In Japan symbolisiert sie Licht und Unsterblichkeit.
 
Der nicht näher ausgearbeitete Hintergrund der Arbeit Death in Summer erinnert an den Goldgrund, vor dem von byzantinischen Mosaiken des 4. Jahrhunderts n. Chr. bis in die Renaissance Gott, die Heiligen oder Bibelszenen dargestellt waren. In der osteuropäischen Ikonenmalerei wird sogar bis heute Goldgrund verwendet. Die Figur erhält hierdurch eine größere Präsenz und erhöhte Bedeutung als wenn sie mit einem detailliert ausgearbeiteten Hintergrund konkurrieren müsste. Gold setzt Magadan auch als künstlerisches Mittel häufig und gezielt in anderen konzeptuellen Arbeiten ein. Die Materialikonografie des Goldes ist in Mythologie und Religionen konnotiert mit Reichtum und Macht, aber auch Reinheit, Göttlichkeit und Erkenntnis. Dieser Bandbreite an Assoziationen sowie einfach auch der edlen Schönheit des Material bedient Ingnahl Magadahn sich in unterschiedlichsten Formen.
 
Der Titel Death in Summer kann gedeutet werden als der Zustand des Todes, der jemanden in der Jahreszeit des Sommers ereilt oder aber auch als die Personifikation des Todes, wie sie sich im Sommer darstellt. Hier mit den entsprechenden Blumen als Attributen. Wir erleben gemeinhin den Frühling als Wachsen, den Sommer als Gedeihen, den Herbst als Zeit der Ernte und gleichzeitig des Welkens und den Winter als Stille und Tod im Zyklus der Jahreszeiten. Somit beinhaltet auch der Titel wiederum eine Dualität, die die Künstlerin durch ihre Komposition auflöst und zur Einheit führt. So wie es eben ihre Art ist.