Der Titel Lange Tage der Einzelausstellung von Ulrike Möschel bezieht sich einerseits auf den Zeitpunkt der Vernissage, pünktlich zur Sommersonnenwende. Der längste Tag des Jahres trägt bei aller Helligkeit auch einen Vanitas-Aspekt und eine gewisse Melancholie in sich, denn ab sofort nehmen die Sonnenstunden wieder ab.

Auf der anderen Seite spielt die in Düsseldorf ansässige Künstlerin mit der Wahl des Titels auf unser Zeitempfinden generell an: Im Verhältnis zur gelebten Lebenszeit sind die Tage in der Kindheit tatsächlich länger. Ulrike Möschels Arbeiten kreisen häufig um das Thema der Kindheit und die Künstlerin entwickelt eine gänzlich andere Auseinandersetzung mit dieser Thematik als in Werbung und Wissenschaft üblich. Exemplarisch dafür hat sich hier in den Ausstellungsräumen ein nachgebautes Mittelmastspielgerät an einer Seite gelöst, es scheint zu kippen und ist aus dem Lot geraten. Bei näherer Betrachtung des tragenden Mastes sehen wir im unteren Viertel eine vergoldete Bruchstelle, die sich an die japanische Technik des Kintsugi (Goldverbindung) anlehnt. Dies ist eine traditionelle japanische Reparaturmethode, welche die Bruchstelle als etwas Wertvolles hervorhebt.
Ähnlich wie Ulrike Möschel die Relativität unseres Zeitempfindens hinterfragt, spielt sie auch mit dem Maß der jeweiligen Dinge im Vergleich zur „alltäglichen Wirklichkeit“: während die Arbeit das Klettergerüst im Verhältnis zu einem reellen Mittelmastspielgerät verkleinert ist, ist es bei dem in der Ausstellung bewusst in räumlicher Nähe gezeigten Werk die Perlenkette genau umgekehrt. Der Betrachter muss sich mit seiner Körperlichkeit im Raum verorten, sortieren und relativieren.
Die Bildhauerin fächert auf der kleinen Ausstellungsfläche thematisch den Bogen weit auf: Von Architektur über Kindheit hin zu einer fragil werdenden Wahrnehmung und Erinnerung. Dies geschieht jedoch ohne einen Pathos, wie man ihn bei ähnlich großformatigen Werken zu solch existenziellen Themen in der Skulptur vielleicht erwarten würde. Im Gegenteil: die Ausstellung bewahrt sich eine Intimität wie die eines Kammerspiels, obwohl eine große Spannbreite künstlerischer Ausdrucksformen von figürlicher Zeichnung über Skulptur, konzeptueller Rauminstallation und minimalistischer Architekturintervention zum Tragen kommen. Diese unpathetische Wirkung mag darin begründet sein, dass das unmittelbarste Medium - die Handzeichnung- die Basis der künstlerischen Herangehensweise von Ulrike Möschel ist: Letztendlich können auch Werke wie das Klettergerüst als eine Art von Zeichnung im Raum gelesen werden.
Es ist spannend, einen Blick auf die von Ulrike Möschel hier verwendeten Materialien zu werfen, die teilweise aus dem Alltagsbereich stammen (Kette, Draht, Murmeln), oder aber höchst wertvoll und seit Jahrhunderten in der Kunstgeschichte mit Bedeutung versehen sind, wie Gold und Silber. Die metallene Arbeit in zwei unscheinbaren Ecken des Ausstellungsraumes rückt durch ihre vertikale Ausrichtung und durch die Verwendung der genannten Edelmetalle in die Nähe einer sakralen Dimension und verweist damit auf einen der intellektuellen Ursprünge in der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts.

Zur Ausstellung wurden zwei Editionen mit Unikatcharakter aufgelegt.