Eröffnung: Freitag, 2.9.2021, 18 – 21 Uhr
Ort: Julia Ritterskamp, Merkurstr. 29, D‘dorf
Ausstellungsdauer: 2.9. bis 26.11.2021
Geöffnet nach Vereinbarung
Die Gläser sind voll – oder auch halbleer. Die Nacht ist noch jung – oder der Tag bricht schon an. Es wird vor einem guten Glas Roten in sehnsüchtiger Vorfreude auf die Verabredung gewartet – oder aber der Wein dient dazu, den Einen / die Eine zu vergessen. Niels Sievers lässt den Interpretationsspielraum weit in seiner jüngsten Werkreihe. Ebenso weit und luftig ist die Malerei, in der vermeintliche Leerstellen unbemalter Leinwand mithin die wichtigsten Teile des Sujets ausmachen.
Einerseits kommen die neuen Arbeiten überraschend daher: kennt und schätzt man Niels Sievers doch seit Jahren für seine wie Preziosen sorgsam ausgearbeiteten, filigranen Landschaften. Hell Schimmernd bis hin zu düster opak können sie sein – aber stets sind sie ohne die menschliche Anwesenheit im Bild komponiert. Nun scheint es, als hätte er als dies ins gerade Gegenteil verkehrt: Plötzlich sind Menschen überall, die Szenen sind urban, der Malstil locker und ohne jede Angst vor der Präsentation des nackten Malgrundes, völlig unbedeckt von Farbe. Die auf den ersten Blick beim Betrachter einsetzende Verwirrung legt sich jedoch schnell und weicht einem Verstehen, dass scheinbare Gegensätze nichts Ausschließendes bedeuten müssen. Der Strich, die Malerei lässt den Urheber erkennen. Das macht einen reifen Künstler aus: Serien können sich optisch stark unterscheiden, die zur Marke gewordene Handschrift bleibt sich treu. Und auch die Frage nach der Auswahl des Motives - Stadt oder Land, Mensch oder Natur, Tag oder Nacht -relativiert sich schnell im eingehenden Studium der Bilder des in Berlin lebenden Künstlers: es geht immer und überall um die existentiellen Fragen nach Zeit, Emotion und dem Leben an sich.
Das gedankliche Aufblitzen eines „Das kenne ich doch, da war ich schon – war ich vielleicht sogar dabei?“ kommt unweigerlich im Angesicht der neuen Werke von Niels Sievers zustande. Und verkehrt sich genauso schnell wieder in eine Art von Allgemeingültigkeit, Entpersonalisierung der Szene. Dies könnte man zunächst mit dem Fehlen konkret ausgearbeiteter Gesichtszüge bei den Protagonisten in den Bildern erklären. Es geht jedoch darüber hinaus, denn die gesamte Komposition vermittelt dieses Gefühl: Ein erstes Erkennen, welches sich schnell wie ein Windhauch wieder verflüchtigt und dann für uns nicht mehr zu fassen ist. Dieses auf die Leinwand gebrachte Schwingen zwischen den Polen spricht zu denjenigen, die es kennen und schätzen: Sometimes the chase is better than the catch – das Streben nach Erkenntnis sollte lebenslang dauern. Sonst wäre es auch zu langweilig.
Julia Ritterskamp August 2021